Die spezialisierte ambulante Palliativmedizin (SAPV) ist eine Versorgungsform (pflegerisch und ärztlich) für Patienten mit einer nicht heilbaren, fortgeschrittenen Erkrankung, die eine begrenzte Lebenserwartung haben. Ihr Ziel ist eine Betreuung zu Hause und damit die Erhaltung einer möglichst hohen Lebensqualität.
Oft können unsere Krebstherapien für die Patienten eine Menge Zeit gewinnen. Anfangs ist fast immer die beste Methode gegen Einschränkungen der Lebensqualität, möglichst effektiv den Krebs zurückzudrängen. Was aber ist, wenn die Bilanz nicht mehr stimmt, wenn Nebenwirkungen überhandnehmen und zugleich die Chemotherapie nichts mehr hilft? Dann besteht die Kunst darin, sich direkt um die Linderung der Symptome zu kümmern. Darin, konkret und kurzfristig zu unterstützen. Zu ermöglichen, dass man verbleibende Zeit in Würde verbringen kann. Darin, Sinnloses zu unterlassen. Bedingungen für die letzte Strecke zu schaffen, die nicht nur dem Kranken gerecht werden, sondern auch seine Nächsten entlasten: Palliativmedizin.
Die verschiedenen Formen der Krebstherapie werden eingesetzt, um für die Patienten wichtige Ziele zu erreichen. Für den einen mag das bedeuten, Rückfallrisiken zu senken, für den anderen, dass Schmerzen unter Kontrolle kommen, für die meisten, dass ihr Leben verlängert wird. In aller Regel gelingt das immer dann am besten, wenn man Maßnahmen direkt gegen die wuchernden Krebszellen erfolgreich durchführt - häufig in Zusammenarbeit unterschiedlicher Spezialisten. Das kann eine OP sein, Bestrahlung, oder Chemotherapie, als zeitgleiche Kombinationen oder als gut abgesprochen Abfolge dieser Maßnahmen. Es ist eine Denkweise, die dieses Vorgehen antreibt: Die Ursache der Probleme ist der Krebs, und der gehört aktiv bekämpft.
Wenn aktive Therapien das Problem nicht lösen würden, wären sie schädlich, denn ihre unerwünschten Wirkungen würden trotzdem eintreten. Damit ändert sich die Perspektive dramatisch: Behandlungsmaßnahmen richten sich in der Palliativmedizin ganz direkt auf die Symptome, die gebessert werden sollen, nicht mehr gegen den ursächlichen Krebs. Die Behandlung wechselt das Ziel: Nun geht es darum, Lebensqualität zu verbessern, wenn der Krebs nicht mehr erreicht werden kann. Das ist Palliativmedizin. Behandlung hört nicht da auf, wo keine Chemotherapie mehr nützt. Wundervoll zusammengefasst wurde dies von Cicely Saunders, der Begründerin der modernen Palliativmedizin: "Nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben."
Die deutliche Unterscheidung zwischen aktiver Krebsmedizin und Palliativmedizin, wie sie hier beschrieben ist, soll helfen zu erklären - aber sie entspricht so nicht unserem Alltag. Ein moderneres Verständnis von Palliativmedizin kennt fließende Übergänge. Natürlich geht es unseren Patienten insgesamt besser, wenn viel Wert auf Verbesserung von Symptomen gelegt wird. Selbstverständlich kann nicht der Hauptzweck einer onkologischen Praxis sein, möglichst viel und lange mit Chemotherapie zu behandeln.
Die Erwähnung von Palliativmedizin soll nicht indirekt die Botschaft aussenden "Sie haben nur noch eine sehr kurze Zeit zu leben". Stimmt so nicht, und ein wenig das Gegenteil wurde sogar in Studien bewiesen: Krebspatienten, die frühzeitig Zugang zu palliativmedizinischer Mitbehandlung hatten, lebten im Schnitt länger als solche, die keine erhielten.
Richtig bleibt zwar: Palliativmedizin dient der sogenannten "Symptomkontrolle", nicht der Behandlung von Krebs als Auslöser von Symptomen. Sie ist keine im eigentlichen Sinn kausale Therapie, also nicht eine, die auf Ursachen zielt, um Folgen zu beseitigen, sondern eine, die sich direkt um die Folgen kümmert - um Atemnot, um Schmerzen, um Unruhe, um Panik, um Verdauungsstörungen, aber z.B. auch um spirituelle Nöte. Was Palliativmedizin leisten will: dass man in einer, bedingt durch die bedrohliche Erkrankung, problematisch gewordenen Situation wieder besser zurechtkommt, möglichst wenig unter Symptomen leidet, sich sicher fühlen kann, unterstützt ist, und dass das heimische Versorgungssystem nicht zusammenbricht - dann auch das gehört zur Realität: pflegende Angehörige bleiben eine entscheidende Stütze, aber sie brauchen auch gelegentlich Hilfe.
Zunächst einmal: Jeder Arzt, jede Ärztin darf palliativmedizinische Behandlungen nach den Regeln der Medizin durchführen. So wollen wir vor allem den Hausärzten auf keinen Fall absprechen, dass sie das grundsätzlich können. Eine ganze Reihe haben sich auch entsprechend fortgebildet und bieten es ausdrücklich an.
Die entscheidende palliativmedizinische Versorgung, mindestens mengenmäßig, vermutlich auch qualitativ, wird inzwischen aber von hochspezialisierten Teams der sogenannten SAPV geleistet. Dieses oft gebrauchte Kürzel steht für "spezielle ambulante Palliativversorgung". Die Teams bestehen aus hochspezialisierten Pflegekräften und palliativmedizinisch weitergebildeten Ärzten, die zu den Patienten nach Haus kommen.
Nicht zu unterschätzen: Palliativstationen in Krankenhäusern. Das sind, um mit einem Vorurteil zu beginnen, keine „Sterbestationen“. Vielmehr sind es Einheiten, die mit mehr Raum, Zeit, Personal und Ruhe eine ganzheitliche multiprofessionelle Betreuung schwerstkranker Patienten leisten. Ziel ist Symptomkontrolle; wenn Patienten dort sterben, ist es keine Niederlage. Nicht wenige Patienten werden stabilisiert entlassen.
Hospize gehören auch in diese Aufzählung. Sie sind Orte zum Sterben in Würde, begleitet durch ein professionelles Team, ohne pflegende Angehörige zu überfordern. Ein eigenes Thema …
Angenommen, ein Patient oder Angehörige erkennen, dass sie gesundheitsbedingt nicht mehr zurechtkommen, Unterstützung benötigen, aber auf keinen Fall die eigene Wohnung verlassen möchten - was dann passieren könnte: Für besonders nützlich und wichtig halten wir, dass überhaupt ein Kontakt hergestellt wird zwischen Betroffenen und potentiellen Unterstützern. Das wäre ein spezialisiertes Team der SAPV.
Ein erster Schritt, den man per Meldung an die Palliativ-Koordination [regional organisiert] in Gang bringen kann - als Patient, als Angehörige, als Hausarzt, als normaler Pflegedienst, als stationäre Pflegeeinrichtung, als Onkologe - ist ein gemeinsamer Termin zu Haus. Da geht es zunächst "nur" darum, gemeinsam aufzunehmen und zu analysieren, was die Probleme sind, welche Hilfsmöglichkeiten vielleicht schon bereitstehen, vor allem aber, welche geeignet wären, Abhilfe zu schaffen. Das kann ein Rollstuhl sein, das kann eine komplizierte Schmerztherapie sein, das kann ein Formular beim Amt sein, das kann die Erkenntnis sein, dass man noch ein wenig warten möchte mit künstlicher Ernährung in das Venensystem.
Manchmal wird auch verabredet, erstmal gar nichts zu verändern und nach einigen Wochen oder Monaten erneut gemeinsam zu schauen, ob die Situation sich gewandelt hat. Dann wird neu entschieden. In diesem Sinne verpflichtet ein "Beschnuppern" zu nichts.
Übrigens: als spezialisierte Praxis haben wir natürlich unsere Krebskranken am meisten im Blick. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sehr wohl auch andere Erkrankungen gibt, die problematische und bedrohliche Situationen mit hoher Belastung bewirken - beispielsweise Lungenerkrankungen oder Erkrankungen mit Zerstörungen und Zerfall des Nervensystems. Selbstverständlich kann auch für daran Erkrankte SAPV segensreich wirken.
Sprechen Sie uns also gerne an - und seien Sie ggf. nicht überrascht, wenn Sie auf SAPV angesprochen werden.
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