Sie werden davon gehört haben: IGEL (Individuelle GEsundheits-Leistungen) sind ärztliche Maßnahmen, die von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bezahlt werden. Wir mögen IGEL in der Onkologie nicht.
IGEL muss der Patient aus eigener Tasche bezahlen. Er wird zum Kunden, wie in jedem normalen Geschäft. Der Arzt wird zum Dienstleister, ist nicht "Kümmerer". Seine Angestellten werden Verkäuferinnen. Sie vermarkten Produkte. Wenn es seriös zugeht, gibt die Ärztliche Gebührenordnung den Rahmen vor, so dass wenigstens keine Mondpreise zustande kommen. Der Patient als Kunde muss selbst entscheiden, ob ihm die Ausgabe den Nutzen wert ist. Wir beobachten, wie schwer es für Krebskranke und ihre Angehörigen sein kann, ruhig, rational und ohne Sorge zweifelhafte Offerten abzulehnen. Wir halten uns frei davon.
An sich ist IGEL ein differenziertes Konzept. Schaut man genauer hin, gibt es nämlich unterschiedliche Begründungen, wenn medizinische Maßnahmen (diagnostisch oder therapeutisch) nicht "auf Krankenschein gehen":
Medizin, aber keine Behandlung von Krankheit?
Der Grundgedanke ist plausibel: Schutz gegen unverschuldete Not wird solidarisch finanziert - dafür wurden die Krankenkassen erfunden. Kosten, die nicht mit Krankheit zu tun haben, sollen nicht von der Gemeinschaft getragen werden. Beispiele: reisemedizinische Beratung - sie wären im Prinzip Kosten des Urlaubs. Gegenbeispiel: Ist Kinderwunsch bei ungewollter Kinderlosigkeit eine lifestyle-Entscheidung oder eine Krankheit? Oder: Ist der Wunsch, ein Tattoo loszuwerden, unverschuldete Not? Manche dieser Fragen sind komplizierter, als man auf den ersten Blick denken könnte. Diese Konstellationen spielen bei uns keine Rolle. Das hängt vor allem damit zusammen, dass Krebsdiagnosen praktisch zu 100% bewiesen sein müssen, bevor wir behandeln - da sind es Erkrankung, ihre Folgen, oder Folgen der Behandlung (!), die unsere Verschreibungen zu Lasten der Kasse auslösen.
Wenn Nutzen nicht anerkannt ist (Unser Lieblingsbeispiel PET-CT)
Man muss wissen, dass sich vom Prinzip her in dieser Kategorie Angebote finden, deren Bezahlung die gesetzliche Krankenkasse aus gutem Grunde verweigert, nämlich weil ihre Nützlichkeit zur Behandlung von Krankheit oder Linderung von Folgen von Krankheit strittig ist. "Strittig" kann bedeuten, dass die Kassen einen höheren Maßstab an die Beweise für Nützlichkeit legen als die Laienpresse oder interessierte Ärzte oder auch die Industrie, die an der Anwendung ihres Verfahrens verdient.
Genauso kann es sein, dass die Forschung schon "weiter" ist, als die Genehmigungsgremien, die gewissermaßen noch nicht verstanden haben, warum in bestimmten Fällen ein Verfahren nach Meinung von Anwendern regelhaft bezahlt werden sollte. Wichtigstes Beispiel in der Onkologie ist das PET-CT [=Positronen-Emissions-Tomographie, kombiniert mit Computertomographie], für das wir gelegentlich die Indikation stellen, obwohl die offiziellen Gremien (Gemeinsamer Bundesausschuss GemBA) den Nutzen nicht als hinreichend belegt sehen. Gerade das PET-CT, welches das CT-Bild durch Informationen über möglichen Tumorstoffwechsel bedeutend aussagekräftiger machen kann, ist teuer, kann aber extrem nützlich sein. Wir als Onkologen können uns nicht gegen den Eindruck wehren, dass es sich um reine Rationierung handelt, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss sich nicht entscheidet, es zu Lasten der Kasse zu öffnen - übrigens in Deutschland anders als fast im ganzen Rest der westlichen Welt.
Jedenfalls wäre ein PET-CT keine Leistung, an der wir wirtschaftlich in irgendeiner Weise beteiligt wären.
Laborwerte und fragwürdige Checks "zur Sicherheit"
Die Krankenkasse ist nicht dazu gedacht, außerhalb anerkannter Vorsorgeprogramme Untersuchungen ohne konkreten Anlass zu bezahlen. In der Onkologie könnten dazu zählen: Formen von individuellen "Gesundheits-Checks" oder Prüfung von Tumormarkern im Venenblut. Gerade hier lehrt die Biostatististik, dass man bei solchen Untersuchungen Symptomfreier kaum verwertbare Befunde finden wird, wenn es um Krebs geht.
Ein Riesenproblem: Wenn aus normalen Werten bei irgendeinem Check eine vermeintliche Sicherheit abgeleitet wird, die kaum wirklich besteht. Besonders ärgerlich, wenn gesundheitsschädliches Verhalten fortgesetzt werden soll mit der Begründung, es sei ja nachgewiesen, dass keine Schäden bestünden. Beispiel: Weiterrauchen, wenn in einem Röntgen der Lunge kein Krebsknoten zu entdecken war . Wir bieten solche Checks nicht an, kümmern uns aber sorgfältig ("auf Kasse"), wenn Ihr Hausarzt Sie wegen vorhandener abklärungswürdiger Symptomatik schickt.
Ethik
Bedenkt man, wie eine Krebsdiagnose den Boden unter den Füßen wegzieht, wäre der behandelnde Onkologe leicht in einer perfekten IGEL-Verkäuferposition mit Vertrauensvorschuss und psychologischem Druck. Weil wir uns davon frei halten, können wir vorbehaltloser beraten.